07.05.2024
Eine der Hauptaufgaben der obligatorischen Schule besteht darin, Schülerinnen und Schülern grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen zu vermitteln. Auf der einen Seite geht es also darum, dass sie sich Wissen und Fertigkeiten aneignen, auf der anderen Seite aber auch darum, die Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu fördern und sie auf das Leben vorzubereiten. Das erscheint auf den ersten Blick logisch und niemand würde dem widersprechen. Doch wenn man sieht, mit welchen Gegebenheiten die Schule konfrontiert ist, und wenn man sich konkret überlegt, wie dieser Bildungsauftrag umzusetzen ist, so merkt man schnell, dass unser System Schule oft an Grenzen stösst.
Ich spreche hier eine der grössten Herausforderungen an, mit welcher sich die Schule konfrontiert sieht: die Heterogenität innerhalb schulischer Lerngruppen. Vielfalt prägt unsere Gesellschaft und so auch unsere Schule, aber es wäre zu einfach zu sagen, dass sie lediglich auf unsere Gesellschaft und die Erziehung unserer Kinder zurückzuführen ist. Die Herausforderungen für die Schule sind vielfältiger und hängen von verschiedenen Faktoren ab, welche nur zum Teil beeinflussbar sind: vom Alter, Geschlecht, kulturellen Hintergrund der Kinder, von der Herkunft und Sprache, aber auch von den unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten und Lernstilen und nicht zuletzt von den individuellen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler.
Die Schule respektive die Lehrpersonen übernehmen hier eine absolut zentrale, schier unmögliche Aufgabe: Sie müssen den Lehrplan so umsetzen, dass die Lernziele erreicht werden und gleichzeitig den Unterricht auf die Bedürfnisse jeder Schülerin und jedes Schülers abstimmen. Sie entwickeln Strategien, um sicherzustellen, dass die sprachlichen Herausforderungen kein Hindernis darstellen und alle Lernenden Zugang zu den Bildungsinhalten haben.
Sie schaffen ein gesundes, ruhiges und positives Lernumfeld, in dem sich die Schülerinnen und Schüler wohl fühlen. Sie gehen auf die individuellen Bedürfnisse der Kinder ein, sei dies, weil diese zusätzliche Unterstützung beim Lernen benötigen oder psychische Beeinträchtigungen mit sich bringen. Nicht zuletzt bieten sie individuelle Betreuung und Unterstützung , damit jedes Kind sein Potenzial und seine Persönlichkeit entfalten kann – denn nicht zuletzt sind auch dies Erwartungen der Eltern an die Schule.
Was braucht es also, damit die Schule ihren Bildungsauftrag wahrnehmen und allen Schülerinnen und Schülern gerecht werden kann?
Jede Lehrperson lernt bereits in der Ausbildung, den Unterricht interessant zu gestalten, unterschiedliche Methoden einzusetzen, den Unterricht zu differenzieren und die Leistungen der Schülerinnen und Schüler fair zu bewerten.
Es reicht aber nicht mehr, perfekte Unterrichtssequenzen zu erstellen und fachlich ausgebildet zu sein, wenn man der Heterogenität gerecht werden will. Die Lehrpersonen müssen Weiterbildungen und Schulungen besuchen, um ein breiteres Verständnis für die Aufgaben und Herausforderungen des Berufs zu entwickeln und sich ein Repertoire für den Umgang mit der Heterogenität im Unterricht anzueignen.
Eine hohe Professionalität der Lehrpersonen ist zentral, aber sie reicht nicht, um konstruktiv mit den Herausforderungen, die Heterogenität mit sich bringt, umzugehen. Dazu braucht es weitere Ressourcen: nämlich Zeit, Personal und Infrastruktur.
Lernen ist ein langwieriger Prozess, der viel Wiederholung braucht. Das Lerntempo und die Lernfähigkeit sind unterschiedlich ausgeprägt. Vielen Schülerinnen und Schülern fehlt im Unterricht die nötige Zeit – und auch die nötige Ruhe – sich die Fertigkeiten anzueignen und sich vertieft mit dem Stoff auseinanderzusetzen. Damit die Schule diesen unterschiedlichen Bedürfnissen der Lernenden gerecht werden kann, braucht es personelle Unterstützung im Klassenzimmer. Im Normalfall wird aber verlangt, dass sich lediglich1 Person um die individuellen Bedürfnisse von etwa 24 Kindern kümmert und sicherstellt, dass die oben erwähnten Aufgaben erfüllt werden. Das ist ein äusserst anspruchsvoller Auftrag , der oft nicht zur Zufriedenheit aller gemeistert werden kann.
Doch nicht nur zusätzliche personelle Ressourcen
sind gefragt, sondern auch eine geeignete Infrastruktur: Es braucht Räumlichkeiten,
welche unterschiedliche Lernformen erlauben oder wo man sich zum Lernen zurückziehen
kann. Mit Infrastruktur ist aber auch gemeint, dass spezielle Lernmaterialien
und technologische Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, welche helfen, die
individuellen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler abzudecken und Benachteiligungen
auszugleichen.
Unsere Gesellschaft fördert die Individualität und somit auch die Heterogenität. Es ist ein Privileg, in einer Gesellschaft so sein zu dürfen, wie man ist und so akzeptiert zu werden, wie man ist, in einer Gesellschaft zu leben, wo es normal ist, verschieden zu sein. Dies macht uns als demokratische und pluralistische Gesellschaft aus – doch gleichzeitig stellt es uns alle vor grosse Herausforderungen. Die Zukunft alleine wird zeigen, ob wir lernen werden, erfolgreich mit Heterogenität umzugehen, so dass aus der Herausforderung eine Chance wird.
Autorin: Jeannine Baumann, Schulleiterin 7.–10. Schuljahr
Alles viel besser machen - das nächste Mal, ganz bestimmt.
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